Zeiterfassung in Deutschland – ein Reality Check
Bevor man sich mit solchen Schreckensszenarien beschäftigt, lohnt sich aber zunächst ein genauerer Blick darauf, wie Unternehmen die Arbeitszeiterfassung aktuell handhaben und siehe da: jedes zweite Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen (49 Prozent) erfasst bereits die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter:innen. So das Ergebnis einer Umfrage, die wir kürzlich durchgeführt haben. Und die Mehrheit (45 Prozent) macht dies bereits seit Jahren, nämlich schon bevor der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Mai 2019 das sogenannte Stechuhr-Urteil erlassen hat. Auf dieses hatte sich das BAG wiederum in seinem Urteil berufen.
In den Ergebnissen lässt sich auch ein möglicher Grund finden, warum die Arbeitszeiterfassung bei diesen Unternehmen bereits relativ weit verbreitet ist: Minijobs. Branchen wie die Gastronomie, die Logistik, das Personenbeförderungswesen oder die Baubranche unterliegen dem Mindestlohngesetz, das die Dokumentationspflicht der Arbeitszeit von geringfügig Beschäftigen vorschreibt. Und die Hälfte der befragten Unternehmen (49 Prozent) beschäftigt Mitarbeiter:innen auf Minijobbasis.
Im Hinblick auf die Unternehmensgröße zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede bei der Arbeitszeiterfassung: So dokumentieren bereits zwei Drittel der Unternehmen mit über 20 Mitarbeiter:innen (66 Prozent) die Arbeitszeit schon länger und weitere fünf Prozent haben nach dem Urteil im September damit angefangen. Es sind allerdings nur gut zwei von fünf Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeiter:innen (44 Prozent), bei denen die Arbeitszeiterfassung bereits üblich ist. Vier Prozent dieser Unternehmen haben zudem kürzlich mit der Dokumentation begonnen. Unter Letzteren geben zudem zwei von fünf Befragten (39 Prozent) zu, dass sie das Urteil unvorbereitet trifft. Und es stellt sich ernsthaft die Frage: Lohnt sich der Aufwand für sie überhaupt?
Kritik auf mehreren Ebenen
Die Hälfte der Befragten aus Unternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern (51 Prozent) lehnt das Urteil ab, da es für sie mit hohem zeitlichen bzw. bürokratischen Aufwand verbunden ist. Nahezu jeder Dritte von ihnen (30 Prozent) sieht auch schlicht keine Notwendigkeit, die Arbeitszeit zu erfassen. Damit liegen diese Unternehmen jeweils etwas einige Punkte über dem Durchschnitt (zu hoher Aufwand: 48 Prozent; keine Notwendigkeit: 27 Prozent), was nicht verwundern sollte. Wer nur zwei oder drei Mitarbeiter:innen beschäftigt, hat in der Regel bereits einen guten Überblick darüber, wann und wie viel diese arbeiten – ohne zusätzliche Dokumentation. Eine gesetzlich vorgeschriebene Zeiterfassung heißt damit für sie: Viel Aufwand, wenig Ertrag.
Zudem sollte man die weiteren Auswirkungen nicht unterschätzen. Insgesamt rechnet mehr als jeder Fünfte (22 Prozent) damit, dass sich das Arbeitsklima durch die Zeiterfassung verschlechtern wird. 37 Prozent erwarten Probleme, weil Mitarbeiter:innen ihre Stunden nicht von selbst eintragen und entsprechend ermahnt werden müssen. Und knapp die Hälfte der Befragten (45 Prozent) fürchtet, dass sich die Mitarbeiter:innen künftig kontrolliert fühlen werden. Insgesamt glauben lediglich 30 Prozent, dass die Einführung der Arbeitszeiterfassung in ihrem Betrieb problemlos verlaufen wird.
Papier, Tabellen, Software – die Wahl ist eindeutig, aber auch zukunftsfähig?
Bis das Gesetz zur Arbeitszeiterfassung tatsächlich verabschiedet wird, geht noch einige Zeit ins Land. Es ist zu hoffen, dass die Regierung sich dabei zwar die Kritik aus dem Frühjahr, als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die digitale Zeiterfassung für Minijobs vorschreiben wollte (und zurückrudern musste), zu Herzen nimmt, gleichzeitig aber auch die Weichen für die Digitalisierung stellt. So ist es verständlich, dass zwei Drittel aller Befragten (65 Prozent) ihr System für die Zeiterfassung selbst wählen möchten. Doch die klare Präferenz für Papier und Stift (50 Prozent) ist nicht zukunftsfähig – die Fälschungssicherheit ist etwa nicht gegeben. Der Gesetzgeber sollte deshalb auf die digitale Zeiterfassung drängen. Aber dabei sollte er eine ausreichend lange Übergangsfrist gewähren, damit Betriebe nicht von heute auf morgen ihre Systeme umstellen müssen oder womöglich in der Eile Lösungen implementieren, die für ihre Bedürfnisse viel zu umfangreich sind.
Fazit
Ist die Arbeitszeiterfassung für Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen unzumutbar? Wahrscheinlich nicht. Aber besonders sinnvoll ist sie auch nicht. Gerade in Unternehmen mit nur einer Handvoll Mitarbeiter:innen brauchen die Verantwortlichen keine Stundenzettel, Tabellen oder andere Auswertungen, um das Arbeitspensum ihrer Mitarbeiter:innen zu kennen und zu steuern. Dies ergibt sich ganz von allein durch die tägliche Zusammenarbeit. „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ ist hier wohl die Maxime der Bundesregierung. Die Folgen wären Bürokratiewahnsinn, Überregulierung und lähmendes Micromanagement – kurz, das genaue Gegenteil von dem, was Kleinst- und Kleinunternehmen brauchen, um weiterhin der Hidden Champion der deutschen Wirtschaft zu sein. Die Bundesregierung täte gut daran, solche praktischen Überlegungen bei der Arbeitszeitregelung zu berücksichtigen, wenn sie Kleinstbetriebe nicht mit noch mehr Bürokratie belasten wollen.
Methode:
Lexware hat vom 14. bis 17.Oktober 2022 in einer Online-Befragung 2.625 Selbstständige, kleine und Kleinstunternehmen mit mindestens einem Mitarbeitenden befragt.
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Über den Lexware Trendradar
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