Trendradar: Fachkräftemangel – was droht den kleinen Unternehmen?

Gefahren für die deutsche Wirtschaft lauern auf vielen Ebenen: Die hohe Inflation sorgt für steigende Kosten und weniger Konsum, bei Schlüsseltechnologien wie KI droht ein Rückstand, der womöglich nicht mehr aufgeholt wird, die Lieferketten sind weiterhin instabil und Cyberkriminalität ist inzwischen eine konstante Bedrohung. Doch die größte Gefahr für unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen und damit für unseren Wohlstand ist der Fachkräftemangel – denn durch diesen multiplizieren sich all die anderen Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Zuletzt aktualisiert am 09.10.2024

Offene Stellen überall

12,9 Millionen Arbeitnehmer*innen erreichen bis zum Jahr 2037 das Rentenalter, hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet – mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen. Diese sind durch nachkommende Generationen nicht zu ersetzen, weil es in diesen schlicht nicht genug (potenzielle) Arbeitnehmer*innen gibt. Das heißt, die wirklich kritischen Jahre stehen uns eigentlich noch bevor, doch der Mangel ist heute vielerorts schon eindeutig spürbar. Betroffen sind davon insbesondere Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen, die mit großen, vermeintlich attraktiveren Organisationen um das verfügbare Fachpersonal buhlen.

So sind in nur gut jedem dritten dieser Unternehmen (37 Prozent) derzeit alle Stellen besetzt. Das ist ein zentrales Ergebnis einer aktuellen Lexware Befragung unter Selbstständigen und KMU*. Dabei gilt: Je größer das Unternehmen, desto schwieriger gestaltet sich die Situation. Zwar berichten unter den Kleinstbetrieben mit bis zu neun Mitarbeiter*innen beispielsweise schon drei Fünftel der Befragten (58 Prozent) von offenen Stellen, in mittleren Unternehmen (50-249 Mitarbeiter*innen) sind es mit 79 Prozent aber nochmal deutlich mehr.

Dabei ist sich die Mehrheit (76 Prozent) einig, dass es vor allem an qualifizierten Kandidat*innen fehlt. Angesichts dessen mag es überraschen, dass die Persönlichkeit und Charaktereigenschaften der Bewerber:innen das wichtigste Kriterium für die Befragten bei der Auswahl neuer Mitarbeiter:innen sind. Erst auf den weiteren Plätzen folgen dann Faktoren wie die Ausbildung bzw. Qualifikationen, das Fachwissen und die Berufserfahrung. Doch wer schon mal Mitarbeiter:innen eingestellt hat, weiß: Zwar müssen natürlich ein gewisses Grundwissen und bestimmte fachliche Skills vorhanden sein, aber vieles kann man Menschen auch beibringen. Die Persönlichkeit aber muss unbedingt zum Team passen, sonst werden beide Seiten auf Dauer nicht glücklich – und die (zeit-)aufwendige Suche geht dann wieder von vorne los.

Neue Wege gehen – oder zurückbleiben

Hierbei gibt es allerdings einige erschwerende Faktoren: Mehr als ein Viertel (27 Prozent) gibt etwa an, dass andere Betriebe höhere Löhne bieten, sowie ein Fünftel (20 Prozent), dass andere mehr Flexibilität erlauben (können). Wir sehen jedoch auch, dass knapp ein Fünftel der Befragten (18 Prozent) überhaupt nicht weiß, wo sie nach qualifizierten Mitarbeiter:innen suchen sollen.

Wenn wir aber den Blick auf die Kanäle werfen, die die Betriebe dafür nutzen, stellt sich durchaus die Frage, ob es nicht bei weitaus mehr Verbesserungsmöglichkeiten gibt:

 

  • Jobportale (32 Prozent)
  • Mitarbeiterempfehlungen (31 Prozent)
  • Social Media (29 Prozent)
  • Ausschreibungen auf der eigenen Webseite (29 Prozent)
  • Printanzeigen (28 Prozent)

Gerade letzteres lässt aufhorchen – mehr als ein Viertel der Unternehmen versucht offenbar per Zeitungsannonce auf offene Stellen aufmerksam zu machen. Das mag ab und an immer noch funktionieren, doch die so wichtigen Nachwuchskräfte, zum Beispiel, erreicht man so nicht. Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen müssen die Zeichen der Zeit erkennen und sich jetzt neu aufstellen. Nur wenn sie für Arbeitnehmer:innen attraktiv sind, können sie ihr Überleben langfristig sichern.

Das bedeutet zum einen, bei der Mitarbeitersuche zeitgemäßer zu agieren: Zeit- und zielgruppengemäße Kanäle nutzen, ein Netzwerk aufbauen, Kooperationen mit Schulen oder Universitäten eingehen, sich auf Messen vorstellen, auf Social Media suchen. Es muss nicht unbedingt die, vergleichsweise teure, Anzeige auf den Jobportalen sein, aber Unternehmen müssen gezielter überlegen, wo sie welche Fachkräfte auf sich aufmerksam machen können.

Zum anderen gilt es, die Rahmenbedingungen zu verbessern – Gehaltsanpassungen, flexible Arbeitsmodelle, Fort- und Weiterbildungen für die Angestellten, Mitbestimmungsmöglichkeiten, Mobilitätsbudgets, moderne Werkzeuge und Technik, etc. Auch Unternehmen, die unter hohen Kosten leiden, können Wege finden, ein attraktiveres Angebot für (potenzielle) Mitarbeiter:innen zu schnüren. Es braucht vielleicht etwas Kreativität, aber die ist in den kommenden Jahren eh gefragt.

Fazit

Der Fachkräftemangel ist schon lange absehbar. Und doch schafft es die Politik kaum, schlüssige Konzepte und Maßnahmen vorzulegen, wie er sich lösen oder auch nur abschwächen lässt. Die Unternehmen werden mit dieser Krise weitgehend allein gelassen. Das trifft natürlich auch große Unternehmen, aber besonders die Kleinst-, Klein- und mittleren Betrieben leiden darunter. Denn hier kommt es oft auf jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin an. Entsprechend sehen wir in der Umfrage viel Wut und Verzweiflung, manche nehmen keine weiteren Aufträge mehr an, andere überlegen, ihren Betrieb zu schließen.

Das ist verständlich, doch wir sollten hoffen, dass die Mehrheit ihren Kampfgeist schärft und versucht, für sich selbst Wege aus dieser Krise zu finden. Ansonsten werden uns in Deutschland in den kommenden Jahren sehr viele Kleinst-, Klein- und mittlere Unternehmen verloren gehen – und die Folgen davon werden überall zu spüren sein: Innenstädte, die veröden, weil Restaurants, Friseure, spezialisierte Geschäfte ihre Türen dauerhaft schließen. Weniger Cafés und andere Orte, die in der Stadt und auf dem Land Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens sind. Und nicht zu vergessen: der Wirtschaftsfaktor dieser Unternehmen. Auf all das können wir eigentlich nicht verzichten, aber das werden wir womöglich bald müssen.

* Methodik
Lexware hat im Zeitraum vom 20. bis zum 24. April 2023 1.500 seiner Kund:innen per Online-Fragebogen nach der Personalsituation in ihrem Unternehmen und ihrem Umgang mit dem Fachkräftemangel befragt.