EU-Mehrwertsteuerreform: Das müssen Unternehmen wissen

Mit dem Mehrwertsteuer-Digitalpaket zündete die EU-Mehrwertsteuerreform ihre letzte Rakete. Doch was müssen Unternehmer seit dem 1. Juli 2021 umsatzsteuerlich beim Handel innerhalb der EU und mit Drittstaaten beachten? Hier erfahren Sie, was seit 1. Juli 2021 umsatzsteuerlich für Ihr Unternehmen gilt.

Zuletzt aktualisiert am 16.08.2024
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Die geplante Mehrwertsteuerreform der EU sieht im Kern vor, dass die Umsatzsatzbesteuerung des Warenverkehrs von EU-Unternehmern innerhalb der EU einfacher geregelt wird. Das große Ziel dabei ist, dass bis 2022 alle grenzüberschreitenden Lieferungen im Bestimmungsland besteuert werden. Durch die neuen Regelungen soll vor allem der Umsatzsteuerbetrug eingedämmt werden. Dieser liegt pro Jahr bei etwa 50 Milliarden Euro.

Hintergrund zur Umsetzung der EU-Mehrwertsteuerreform in Deutschland

Auf EU-Ebene haben sich die Mitgliedsstaaten bereits im Jahr 2017 auf die EU-Mehrwertsteuerreform und insbesondere auf die Implementierung des Mehrwertsteuer-Digitalpakets in nationales Gesetz der einzelnen Mitgliedsstaaten verständigt. In Deutschland wurde die zweite Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets erst Ende 2020 mit Verabschiedung des Jahressteuergesetzes umgesetzt.

Von besonderer Bedeutung sind die folgenden umsatzsteuerlichen Neuregelungen im Zusammenhang mit der EU-Mehrwertsteuerreform, die seit 1. Juli 2021 greifen:

  • Ablösung der Versandhandelsregelung: Die bislang geltenden umsatzsteuerlichen Versandhandelsregeln greifen seit 1. Juli 2021 nicht mehr. Sie werden durch die neuen Fernverkaufsregelungen abgelöst.
  • One-Stop-Shop: Die Abführung ausländischer Umsatzsteuer ist im Rahmen der EU-Mehrwertsteuerreform über eine einzige Anlaufstelle beim Bundeszentralamt für Steuern ermöglicht.
  • Reverse-Charge-Verfahren: Es erfolgt der Übergang der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG auf den Betreiber elektronischer Märkte.

Tipp

Unterstützung durch einen Steuerberater

Wir werden Ihnen diese umsatzsteuerlichen Neuregelungen in den folgenden Passagen dieses Praxisbeitrags erläutern. Erkennen Sie Handlungsbedarf aufgrund dieser umsatzsteuerlichen Regelungen im Rahmen der EU-Mehrwertsteuerreform für Ihren Betrieb, sollten Sie einen Blick in ein aktuelles Schreiben des Bundesfinanzministeriums zu dieser Thematik werfen (BMF, Schreiben v. 1.4.2021, Az. III C 3 - S 7340/19/10003 :022). Zum anderen empfiehlt es sich, die umsatzsteuerlichen Anpassungen zum 1. Juli 2021 von einem Steuerberater überprüfen zu lassen.

EU-Mehrwertsteuerreform: Bisherige Umsatzsteuerregelungen beim Versandhandel

Um besser zu verstehen, was sich durch die EU-Mehrwertsteuerreform und insbesondere durch das Mehrwertsteuer-Digitalpaket umsatzsteuerlich für Unternehmer ändert, hier zunächst die Umsatzsteuerregeln, ein typischer Versandhandelsfall und seine umsatzsteuerlichen Folgen nach Rechtslage bis zum 30.06.2021.

Ein in Deutschland ansässiges Unternehmen musste in Deutschland Umsatzsteuer abführen, wenn sich der Ort der Leistung in Deutschland befindet. Erfolgte eine Warenlieferung an einen Kunden oder eine Kundin von einem deutschen Lager aus, befand sich der Ort der Lieferung im Lager (Ort des Beginns der Lieferung). Es wurde deutsche Umsatzsteuer fällig.

Versandhandelsregelung: Handelte es sich jedoch um eine grenzüberschreitende Lieferung von einem deutschen Unternehmer an einen Privatkunden mit Wohnsitz in der EU (B2C-Umsätze), galt umsatzsteuerlich jedoch die sogenannte Versandhandelsregelung. Danach war die Umsatzsteuer nicht mehr in Deutschland abzuführen, sondern im EU-Wohnsitzstaat des Privatkunden bzw. der Privatkundin, wenn bestimmte Netto-Umsatzschwellen bei Lieferung in ein EU-Land überschritten werden.

Beispiel: Rechtslage von Mehrwertsteuerreform 

Ein Unternehmer mit Ansässigkeit in Deutschland lieferte in einem Jahr an Privatkunden oder eine Privatkundin in Italien Waren im Wert von 50.000 Euro. Da die für Italien geltende Lieferschwelle von 35.000 Euro überschritten war, musste in Italien Umsatzsteuer abgeführt werden und nicht mehr in Deutschland. Das bedeutete, dass sich der Unternehmer in Italien umsatzsteuerlich registrieren lassen und Umsatzsteuererklärungen in Italien abgeben musste.

Neuregelungen zum Versandhandel durch EU-Mehrwertsteuerreform

Im Rahmen des Mehrwertsteuer-Digitalpakets, das zum 1. Juli 2021 in Kraft trat, gibt es nur noch eine einzige sämtliche EU-Mitgliedsstaaten umfassende Lieferschwelle. Und diese Lieferschwelle beträgt 10.000 Euro.

Im Rahmen der EU-Mehrwertsteuerreform spricht man bei Lieferungen an Privatkunden in einem anderen EU-Mitgliedsstaat nicht mehr von der Versandhandelsregelung, sondern vom „Fernverkauf“. Der Fernverkauf setzt voraus, dass der Transport der Ware durch den Online-Händlern veranlasst wird.

Beispiel:

Ein Unternehmer mit Ansässigkeit in Deutschland liefert an Privatkunden in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten Waren im Wert von 7.500 Euro aus. Folge: Da die neue Lieferschwelle für alle Lieferungen in sämtliche EU-Staaten von 10.000 Euro nicht überschritten wurde, muss die deutsche Umsatzsteuer ans deutsche Finanzamt abgeführt werden.

Variante:

Ein Unternehmer mit Ansässigkeit in Deutschland liefert Waren an Privatkunden verschiedener EU-Mitgliedsstaaten im Wert von 20.000 Euro. Da die neue Lieferschwelle von 10.000 Euro überschritten wurde, muss die ausländische Umsatzsteuer im jeweiligen EU-Wohnsitzstaat des Privatkunden gezahlt werden.

Tipp

Vereinfachung durch One-Stop-Shop (OSS)

Es gibt jedoch eine begrüßenswerte Vereinfachung im Rahmen der EU-Mehrwertsteuerreform ab 1.7.2021. Ein Unternehmer muss sich nicht mehr in jedem Land registrieren lassen, um die ausländische Umsatzsteuer an die einzelnen Behörden im Ausland abführen zu können. Die Umsatzsteuerzahlung erfolgt über die neue einzige Anlaufstelle (sog. One-Stop-Shop) beim deutschen Bundeszentralamt für Steuern. Und diese Behörde leitet dann die Umsatzsteuerzahlungen weiter an die ausländischen Finanzbehörden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Unternehmer in nicht mehr als einem EU-Mitgliedsstaat umsatzsteuerlich registriert ist.

EU-Mehrwertsteuerreform Erleichterungen für Unternehmer aus dem Drittland mit einem Warenlager in Deutschland

Von der Vereinfachungsregelung des One-Stop-Shop profitieren übrigens auch Unternehmer mit Ansässigkeit in einem Nicht-EU-Staat, die in Deutschland ein Warenlager haben und Privatkunden in einem anderen EU-Mitgliedsstaat von diesem deutschen Lager aus beliefern. Wird die Lieferschwelle von 10.000 Euro für Lieferungen in verschiedene EU-Mitgliedsstaaten überschritten, ist es durch die EU-Mehrwertsteuerreform am 1. Juli 2021 erlaubt, dass der Unternehmer aus dem Drittland die ausländische Umsatzsteuer ans Bundeszentralamt für Steuern abführt.

Vorteile des One-Stop-Shops im Rahmen der EU-Mehrwertsteuerreform

Die Zahlung der Steuer über die einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop) beim Bundeszentralamt hat verschiedene Vorteile. Zu erwähnen sind insbesondere folgende Erleichterungen und Einsparungen:

  • Es genügt die quartalsweise Meldung und Zahlung der ausländischen Umsatzsteuer ans Bundeszentralamt für Steuern. Eine echte bürokratische Entlastung mit Stundungseffekt im Vergleich zu monatlichen Anmeldung und Zahlung der Umsatzsteuer an ausländische Finanzbehörden.
  • Unternehmer müssen sich aufgrund dieser umsatzsteuerlichen Neuregelung im Rahmen des EU-Mehrwertsteuerreform nicht mehr in den verschiedenen Wohnsitzländern ihrer Privatkunden umsatzsteuerlich registrieren lassen.
  • Unternehmer sparen sich Geld für die Beauftragung ausländischer Steuerberater, die bisher die Erklärungen für die ausländischen Finanzbehörden erstellen mussten.

Fazit zur EU-Mehrwertsteuerreform und der Neuregelungen zum 1. Juli 2021

Betroffene Unternehmer sollten frühzeitig vor dem 1. Juli 2021 beginnen, sich auf die Umsetzung dieser Neuregelungen im Rahmen der EU-Mehrwertsteuerreform vorzubereiten. Neben der Antragstellung über das Online-Portal des Bundeszentralamts für Steuern unter www.bzst.de (seit 1.4.2021 möglich) müssen die Verfahrensabläufe und das umsatzsteuerliche Rechnungswesen angepasst werden. Empfehlenswert sind Schulungen für Mitarbeiter der Buchhaltung sowie Gespräche mit dem Berater und gegebenenfalls Tax-Compliance-Prüfungen des Steuerberaters.