Digitalisierung

Digitalisierung im Großhandel - Interview mit dem Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. BGA

Der Großhandel steht vor einer digitalen Transformation, die sein Geschäftsmodell grundlegend verändern wird. Wie das gelingen kann und worauf Handelsunternehmen bei der Anbindung an digitale Vertriebsplattformen beachten sollten, erklärt André Schwarz, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BGA, im Interview.

Zuletzt aktualisiert am 03.04.2024
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Portrait André Schwarz
André Schwarz

André Schwarz ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BGA, dem führenden Handelsverband für Groß- und Außenhandel in Deutschland. Als Dachverband vertritt der BGA die Interessen der Großhandelsbranche mit rund 125.000 deutschen Unternehmen und unterstützt die Mitglieder in berufsständischen, wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Fragen. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiges Anliegen, da der digitale B2B-Handel besonders in den vergangenen Jahren und auch aufgrund der Corona-Pandemie deutlich an Fahrt aufgenommen hat. 

Guten Tag Herr Schwarz, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. Eineinhalb Jahre Corona-Pandemie liegen nun hinter uns. Wie hat sich diese außergewöhnliche Zeit aus Ihrer Sicht auf den Großhandel ausgewirkt?

Die Corona-Pandemie war natürlich eine Zäsur. Sie hat viele digitale Entwicklungen massiv beschleunigt: Ein Beispiel hierfür ist der Ausbau der digitalen Sichtbarkeit und Erreichbarkeit der Unternehmen. Natürlich war es auch vor der Pandemie schon wichtig, von den Kunden im Internet gefunden zu werden. Als sich das ganze Geschäft aber dann auf einmal nur noch online abspielte, wurden Handelsbetriebe, die im Internet nicht auffindbar waren, kaum mehr wahrgenommen.

Ein weiteres zentrales Thema war der Ausbau digitaler Vertriebswege. Speziell für den Großhandel war es ein großes Problem, dass ein Außendienst, der im Großhandel als Vertriebsweg eine entscheidende Rolle spielt, häufig nicht in die Unternehmen kam, weil alle im Homeoffice waren und weil natürlich die Kontakte auf ein Minimum beschränkt wurden. Dieser Wandel von heute auf morgen war doch sehr heftig. Hier mussten innerhalb kürzester Zeit neue digitale Vertriebswege erschlossen werden – weil es auf andere Art und Weise gar nicht möglich gewesen wäre, Geschäfte zu machen.

Die Corona-Pandemie hatte darüber hinaus natürlich auch Auswirkungen auf Beschaffung und Logistik. Während der gesamten Phase gab es eine Reihe logistischer Probleme im Hintergrund. Die Lieferketten sind heute immer noch stark unter Druck.

Wie haben Unternehmen speziell den eingeschränkten Kontakt zur Kundschaft gelöst?

Die meisten Großhändler hatten glücklicherweise bereits in irgendeiner Form einen Onlineshop oder sind auf einer Handelsplattform aktiv. Es hat sich gezeigt, dass die Betriebe, die im Hinblick auf die Digitalisierung einen Vorsprung hatten, entsprechend auch besser durch die Pandemie gekommen sind als andere.

Nach dieser Erfahrung gibt es jetzt kaum noch jemanden, der ausschließlich auf den Außendienst setzt. In den vergangenen Monaten haben die Unternehmen digitale Vertriebskanäle ausgebaut und sich an vielen Stellen genau überlegt, wie man den Außendienst besser mit anderen Vertriebskanälen vernetzen kann.

Es hat sich gezeigt, dass die Betriebe, die im Hinblick auf die Digitalisierung einen Vorsprung hatten, entsprechend auch besser durch die Pandemie gekommen sind als andere.

Welche Änderungen aus den vergangenen Monaten sind Ihrer Ansicht nach von Dauer? Was wird wieder verschwinden?

Nicht nur im Händler-, sondern vor allem im Kundenverhalten hat sich während der Corona-Pandemie viel verändert. Der Blick auf die Prozesskosten ist nun deutlich präsenter. Im Einkauf wird stärker darauf geachtet, wie hoch die Taktung, Frequenz und Priorität der Bestellungen ist. Einfache Kleinteile mit einem hohen Bedarf werden viel häufiger automatisiert online bestellt. Das gilt zunehmend auch für technologisch anspruchsvolle Produkte, die eine qualifizierte Fachberatung benötigen, und derzeit noch überwiegend über den Außendienst bestellt werden.

Drei Personen um einen Tisch im Lager aus der Vogelperspektive
© Morsa Images - gettyimages.comDie Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass Großhandelskunden bei ihrer Beschaffung noch mehr auf den Online-Handel setzen. Dafür benötigt es neue Logistik-Konzepte und digitalen Fortschritt.

Welche Rolle spielt dabei der Vertrieb über Handelsplattformen? Wie ist hier die Situation in Deutschland?

Die Bedeutung von Online-Handelsplattformen wird definitiv weiter steigen. Eine Plattform bietet einen einfachen und standardisierten Zugang zum Online-Markt und ist somit auch immer ein Stück digitale Basisinfrastruktur, die dank zusätzlicher Schnittstellen in der Regel eine einfache und kostengünstige Anbindung an die eigenen Ein- und Verkaufssysteme bietet.

Ich bin mir aber auch sicher, dass wir bei B2B-Großhandelsplattformen eine größere Vielfalt erleben werden als es im B2C-Markt der Fall ist. Einfach, weil wir im Großhandel diese wahnsinnige Branchenvielfalt haben, die Produkte völlig verschiedene Anforderungen besitzen und auch der Beratungsbedarf extrem unterschiedlich ist.

Besonders in Deutschland ist der Großhandel klassisch mittelständisch geprägt. Das führt dazu, dass es viele kleinteilige und hochspezialisierte Kunden gibt, die von ihren Händlern auch genau diese Spezialisierung erwarten. Mit Hinblick auf unsere deutsche Wirtschaftspolitik sollte es deshalb auch das Ziel sein, diese vielseitige Struktur zu erhalten, statt auf große Monolithen zu setzen.

Was sollten sich Großhandelsunternehmen überlegen, bevor sie ihr Geschäft an eine Plattform anbinden?

Für Großhändler ist es wichtig, strategisch das eigene Geschäftsmodell zu hinterfragen, bevor sie sich einfach so an eine Plattform anbinden. Es ist wichtig, dass sie auf der Plattform ihre Kundschaft erreichen und ihre Alleinstellungsmerkmaleplatzieren können.

Die Händler sollten sich außerdem fragen, welche Auswirkungen die Vergleichbarkeit so einer Plattform auf das Pricing hat, ob sich Rabattmodelle und Rückvergütungen einfach hinterlegen lassen und ob es sogar die Möglichkeit gibt, zusätzliche digitale Services anzubieten, die sich wiederum monetarisieren lassen.

Die Bedeutung von Online-Handelsplattformen wird definitiv weiter steigen.

Zusätzlich zu der Entwicklung im Plattformmarkt hat auch das Thema Direktvertrieb – Stichwort „D2C“ – für viele Produzenten und Hersteller eine neue Relevanz bekommen. Meinen Sie, dass dieser digitale Direktvertrieb die Bedeutung des Großhandels als Intermediär schmälert?

Der digitale Direktvertrieb wird die Bedeutung des Großhandels nicht schmälern, sondern sich parallel dazu entwickeln. Natürlich hat es immer schon Versuche gegeben, den Großhandel auszuschalten, was für manche Hersteller und gerade junge Start-ups auch verständlich ist.

Großhandel ist jedoch viel mehr als große Warenmengen zu bestellen und sie in kleine Mengen zu kommissionieren. Ein einfaches Beispiel sind Schrauben: Kunden haben ganz konkrete Anforderungen, mit Blick auf Zugkraft, Hitzebeständigkeit und Haltbarkeit. Ebenso sind genaue Stückzahl und zuverlässige Lieferung „just-in-time“ oder „just-in-sequence“ mitentscheidend, um die Lager- und Prozesskosten niedrig zu halten. Sind ein hoher Beratungsaufwand, fachliches Know-how, Kontrolle, Sicherheit und Verlässlichkeit gefragt, wird der Großhandel weiterhin der richtige Ansprechpartner sein.

In Bezug auf die Lieferzuverlässigkeit spielt auch beispielsweise die von Ihnen angesprochene „Just-in-Time“-Produktion eine besondere Rolle. Welche digitalen Lösungen gibt es, mit denen sich der Großhandel gerade in solchen Bereichen besser positionieren kann, um den Anforderungen der Kundschaft noch besser gerecht zu werden?

Der Großhandel beschäftigt sich laufend damit, wie die eigenen Prozesse weiter optimiert werden können und welche Kanäle und Schnittstellen für den Kunden eine besondere Rolle spielen. Man muss dabei natürlich auch eine gewisse Balance finden, so dass das Ganze nicht zu komplex wird. Nichtsdestotrotz bietet uns die Digitalisierung wahnsinnige Potenziale zur Geschäftsoptimierung.

Hier muss ich aber auch ehrlich sagen: Die Forschungsquote im Großhandel ist bislang niedrig und auch die Forschungslandschaft nur gering ausgeprägt. Insbesondere an Forschungsnetzwerken fehlt es. Im Großhandel haben wir deshalb bei Zukunftsthemen wie Künstlicher Intelligenz, der Einsatz von Robotik oder Blockchain noch Schwachstellen, an denen wir zusammen mit Interessierten aus BGA-Mitgliedsverbänden arbeiten.

Nichtsdestotrotz bietet uns die Digitalisierung wahnsinnige Potenziale zur Geschäftsoptimierung.

Viele Händler sind mit Blick auf die Unternehmensgröße limitiert, was Innovationen betrifft und sie haben auch nicht den Datenschatz wie ein Amazon, so dass sich aufwändige Datenanalysen und beispielsweise Chatbots lohnen würde. Diese systemische Schwäche haben wir erkannt.

Um diese Lücke zu schließen, wurde nun die Gründung einer Vereinigung zur Förderung und Unterstützung wissenschaftlicher Forschung im Bereich des Großhandels auf den Weg gebracht. Wir erhoffen uns so, von der Seitenlinie Schützenhilfe leisten zu können, um solche Themen im Großhandel vorantreiben zu können.