Veränderungen im B2B-Geschäft
Während Händler im Einzelhandel schon lange verstärkt auf Digitalisierungsmaßnahmen wie Online-Shops setzen, spielten diese beim Großhandel zunächst keine große Rolle. Der Grund: Das klassische Vertriebskonzept mit Katalogen, Telefon- und Faxbestellungen sowie Außendienstmitarbeitern mit einer Vielzahl von persönlichem Kontakt zu Kunden funktionierte im B2B-Bereich noch gut.
Die Schonzeit für den Großhandel ist jedoch spätestens seit der Corona-Pandemie vorbei. Einkäufer nutzen inzwischen fast ausschließlich das Internet, um Bestellungen aufzugeben, und erwarten dort von ihren Großhändlern umfassende Produkt-, Preis-, Rabatt- und Verfügbarkeitsinformationen. Großhändler, die diese Informationen nicht bieten, kommen nicht mehr in Betracht.
Hinzu kommt, dass sich der B2B-Markt insgesamt radikal verändert hat:
- Quereinsteiger drängen mit Know-how im Umgang mit IT, Online-Shops und Datenverwaltung auf den Markt.
- Eigentliche B2C-Anbieter richten sich mit ihrem Angebot neuerdings auch an Business-Kunden. So haben große Onlinehandelsplattformen - allen voran Amazon mit Amazon Business und eBay - eigene, höchst erfolgreiche Plattformen für B2B aufgebaut.
- Immer mehr Hersteller umgehen den Großhandel komplett und gehen mit eigenen Online-Shops in den B2B-Direktvertrieb.
Experten-Interview: Digitalisierung im Großhandel
Der Großhandel steht vor einer digitalen Transformation, die sein Geschäftsmodell grundlegend verändern wird.
Wir haben mit André Schwarz – stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BGA, dem führenden Handelsverband für Groß- und Außenhandel in Deutschland – zum Thema Digitalisierung im Großhandel gesprochen und interessante Einblicke in den Handel der Zukunft erhalten.
Umfassende Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten
Die aktuellen Entwicklungen im B2B-Markt zwingen Großhandelsunternehmen aller Art und Größe, sich diesen anzupassen und umfassende Digitalisierungsmaßnahmen umzusetzen.
Intelligente Shopsysteme
Dabei genügt es nicht, einen aktuellen Online-Shop einzurichten. Um sich gegen die wachsende Konkurrenz behaupten zu können, sind intelligente Shopsysteme gefragt, die Bestandskunden automatisch individuelle Staffelpreise und Rabattierungen anzeigen. Wichtig ist zudem eine komfortable und treffergenaue Suchfunktion.
Diese Merkmale sollte ein intelligenter Shop ebenfalls aufweisen können:
- Detaillierten Produktinformationen mit Angaben zu Verfügbarkeit, Lieferzeiten und zur individuellen Bestellhistorie.
- Bedienungsanleitungen, technische Spezifikationen und Wartungsanleitungen sollten auch bereits im Shopsystem integriert sein.
- In B2C-Online-Shops haben Rezensionen, Nutzerkommentare und ergänzende Produktempfehlungen einen sehr hohen Stellenwert ( In B2B-Systemen spielen diese keine Rolle).
Kundenbindung durch zusätzliche digitale Geschäftsmodelle
Ein B2B-Online-Shop mit günstigen Preisen ist die eine Sache. Um sich von der Online-Konkurrenz abzusetzen, benötigt es aber noch mehr. Zunehmend wichtiger wird der Mehrwert, den ein Großhändler seinen Kunden über zusätzliche digitale Geschäftsmodelle und Services anbietet. Voraussetzung dafür ist eine umfassende und solide digitale Basis, auf der die neuen Geschäftsmodelle und Dienstleistungen aufbauen können.
Mögliche neue Geschäftsmodelle
Gängige neue Geschäftsmodelle bei größeren Investitionsgütern sind z. B. die Vermietung oder die Abrechnung von Nutzungskosten und/oder Verbrauchsmaterialien (Pay-per-Use). Für viele Großhandelsunternehmen können dies durchaus lukrative Alternativen zum Verkauf sein, die zudem noch den Vorteil einer langfristigen Kundenbindung bieten.
Sind die digitalen Voraussetzungen geschaffen, kann die Überwachung des vertragsgemäßen Gebrauchs und die Erfassung der Einsatzzeiten und Verbrauchsmaterialien über Sensoren erfolgen, die ihre Daten über das Internet of Things (IoT) an das zentrale Dokumentations- und Abrechnungssystem leiten. Dieses erstellt dann automatisch die Monatsrechnungen. Der personelle Aufwand hält sich dabei in Grenzen.
Mögliche neue Services
Zu den digitalen Services und Dienstleistungen, die Großhandelskunden einen Mehrwert bieten und die Kundenbindung erhöhen, gehört beispielsweise auch der Einsatz von Apps, mit denen Schäden gemeldet oder Verbrauchsmaterialien direkt bestellt werden können. Auch ein automatisiertes Bestellsystem für Verbrauchsmaterialien (C-Teile-Management) kann Kunden als ein innovativer neuer Service angeboten werden: Melden IoT-Sensoren, dass eine bestimmte Mindestmenge unterschritten ist, wird der Bestellvorgang für den Nachschub automatisch ausgelöst.
IoT-Sensoren könnten bei Maschinen auch Verschleiß, Temperatur und Vibrationen überwachen und frühzeitig vor Fehlfunktionen warnen und Wartungen entsprechend planen (Predictive Maintenance). Dadurch, dass feste Service-Intervalle entfallen, sparen Kunden Kosten und bleiben an den Großhändler gebunden.
Vor allem kleinere Großhandelsunternehmen können mit zusätzlichen Services und Dienstleistungen dafür sorgen, dass sich Kunden langfristig an sie binden und nicht zur übermächtigen Konkurrenz der großen Onlineplattformen abwandern. Ist die digitale Basis vorhanden, können mit ein wenig Kreativität und geringem Aufwand immer wieder neue Services hinzugefügt werden.
ERP-System: Erfolg durch digitale Vernetzung
Die digitale Basis kann beispielsweise durch ein ERP-System (Enterprise Resource Planning) geschaffen werden, das sämtliche Geschäftsprozesse in einer Software abwickelt, in die alle möglichen Ein- und Ausgabesysteme integriert sind – die Kalkulationstabelle eines Verkäufers oder einer Verkäuferin genauso wie der komplette B2B-Online-Shop.
Dadurch ist gewährleistet, dass immer mit aktuellen Daten und Informationen gearbeitet wird: Legt ein Verkäufer eine individuelle Rabattstaffel für einen Bestandskunden fest, wird der Rabatt im Online-Shop angezeigt, sobald sich der Kunde mit seinen Nutzerdaten beim Online-Shop anmeldet. Die Anzeige der Bestellhistorie und aller weiteren individuellen Informationen erfolgt ebenfalls in Verbindung mit dem Nutzerkonto.
Durch standardisierte Programmier-Schnittstellen sind ERP-Systeme auch in der Lage, direkt mit den Programmen von Geschäftspartnern zusammenzuarbeiten, was vor allem im B2B-Bereich äußerst vorteilhaft ist. Sind Unternehmen so miteinander vernetzt, können manuelle Abläufe automatisiert werden. Bestellungen lassen sich dadurch wesentlich schneller und präziser verarbeiten. Sind Großhändler mit ihren Lieferanten vernetzt, werden Lieferprozesse noch transparenter und es lassen sich Lagerhaltung und Distribution besser planen.
Für den Großhandel besonders relevant sind beispielsweise auch die internen Genehmigungsprozesse und Freigaben auf Kundenseite. Bei bestimmten Produkten und beim Überschreiten bestimmter Auftragswerte sind in vielen Unternehmen zusätzliche Genehmigungen erforderlich. Ist das Bestellsystem entsprechend vernetzt, erfolgt die Freigabeanfrage automatisch und der Bestellvorgang wird fortgesetzt, sobald die Freigabe erfolgt ist.
Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, dass es sich bei einem ERP-System um eine äußerst komplexe Software-Lösung handelt. So komplex, dass sie zunächst nur Großunternehmen vorbehalten war, die den technischen, personellen und vor allem auch finanziellen Aufwand für die Einführung und Anpassung eines ERP-Systems stemmen konnten.
Dies hat sich aber mit der fortschreitenden Digitalisierung grundlegend geändert: Kleinere Unternehmen können jetzt über das Internet modular aufgebaute Cloud-ERP-Systeme nutzen, die sich dem jeweiligen Bedarf anpassen lassen. Mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand sind dadurch auch Kleinunternehmen zumindest IT-technisch auf Augenhöhe mit den Großunternehmen.
Künstliche Intelligenz hilft bei der Optimierung von Prozessen und Prognosen
In einer Branche, die von hohen Volumina, komplexen Lieferketten und starkem Wettbewerb geprägt ist, bietet KI innovative Lösungen, die den gesamten Geschäftsablauf transformieren können.
Die größte Stärke der KI im Großhandel liegt in der Automatisierung. Vom Bestandsmanagement über die Preisgestaltung bis hin zur Logistik kann KI zahlreiche Aufgaben übernehmen, die bislang manuell oder nur rudimentär automatisiert durchgeführt wurden. Durch die Nutzung von Algorithmen, die historische Verkaufsdaten und aktuelle Marktentwicklungen analysieren, können Großhändler ihre Lagerbestände effizienter verwalten. KI-gestützte Systeme prognostizieren präzise die zukünftige Nachfrage und lösen automatisch Bestellungen aus, um Überbestände zu minimieren und Fehlbestände zu vermeiden.
Die dynamische Preisgestaltung ist ein weiterer Bereich, in dem KI eingesetzt wird. Anstatt statische Preise festzulegen, können Großhändler mit Hilfe von KI flexible Preisstrategien entwickeln, die sich an Markttrends, Wettbewerbsaktivitäten und Kundenverhalten orientieren. Dies führt nicht nur zu einer besseren Margenoptimierung, sondern auch zu einer höheren Kundenzufriedenheit, da personalisierte Preisangebote die Kundenbindung stärken.
Im Bereich der Logistik und Lagerverwaltung bietet KI immense Vorteile durch die Optimierung von Lieferketten und Routenplanungen. KI-Systeme analysieren eine Vielzahl von Faktoren wie Verkehrsdaten, Wetterbedingungen und Fahrzeugkapazitäten, um die effizientesten Routen zu berechnen. Dies führt zu einer Reduzierung der Lieferzeiten und Transportkosten. Zudem können KI-gesteuerte Roboter und Automatisierungslösungen in Lagern eingesetzt werden, um Prozesse wie Kommissionierung, Verpackung und Versand zu beschleunigen.
KI findet auch im Kundenservice Anwendung, wo intelligente Chatbots und virtuelle Assistenten rund um die Uhr Kundenanfragen beantworten. Diese Systeme sind in der Lage, Bestellungen zu bearbeiten, den Status von Lieferungen zu überprüfen oder Produktinformationen bereitzustellen, was zu einer deutlichen Entlastung des Personals führt und gleichzeitig die Kundenzufriedenheit erhöht.
Im Risikomanagement kann KI ebenfalls eingesetzt werden. Sie kann ungewöhnliche Muster in Transaktionen erkennen und so potenziellen Betrug frühzeitig aufdecken.
KI unterstützt auch die Entscheidungsfindung im Großhandel. Durch die Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen liefert KI wertvolle Einblicke in Markttrends, Kundenpräferenzen und betriebliche Effizienzen. Diese Erkenntnisse sind für das Management von großem Wert, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
Fachverbände und Förderprogramme
Die Einführung und Anpassung eines ERP-Systems oder einer anderen digitalen Lösung kann zusätzliche Hilfe erfordern. Konkrete Hilfestellungen gibt es bei den zuständigen Handelskammern. Diese bieten regelmäßig Informationsveranstaltungen und Seminare zu den Themen „Digitalisierung“ und „Einsatz von KI-Systemen“ an, führen persönliche Beratungsgespräche durch und vermitteln Berater, die die Digitalisierungsmaßnahmen planen und begleiten.
Info
Fördergprogramm „go-digital“
Ein Großteil der Beratungskosten wird vom Förderprogramm „go-digital“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) übernommen, das allerdings bald ausläuft. Anträge auf Fördermittel für Beratung und Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen in KMU können noch eingereicht und bis zum 31.12.2024 bewilligt werden. Die Umsetzung bewilligter Projekte ist bis in das Jahr 2025 hinein möglich.
Eine Übersicht über die Förderprogramme der Bundesländer finden Sie in untenstehendem Artikel: