Katalogversender hätten sich vor zehn Jahren verwundert die Augen gerieben: Damals war eine Versanddauer von ein bis zwei Wochen keine Seltenheit. Mit der Digitalisierung haben sich die Lieferzeiten enorm verkürzt. Insbesondere Amazon hat die Erwartungshaltung der Konsumenten mit seinen High-Speed-Lieferungen weiter in die Höhe geschraubt. Wer heute online bestellt, erwartet die Ware spätestens am übernächsten Tag. Nur in Ausnahmefällen ist man geduldiger.
Das sind Entwicklungen, die jedes Unternehmen berücksichtigen muss, das erfolgreich digital handeln möchte. Besonders hoch sind die Ansprüche bei der Lieferung von Lebensmitteln. Einer Befragung der Software-Bewertungsplattform Capterra zufolge erwartet ein Viertel der Online-Shopper Lebensmittellieferungen in weniger als einer Stunde. Erwartungen, die schon heute erfüllt werden. Lieferdienste wie Gorillas, Flink oder Getir versprechen in Großstädten Lebensmittellieferungen innerhalb von Minuten und prägen damit den Begriff des Quick Commerce.
Quick Commerce: Die Definition
Auch wenn es noch keine einheitliche Definition für Quick Commerce gibt – charakteristisch für diesen auch als Q-Commerce oder E-Food bezeichneten Onlinehandel sind folgende Parameter:
- Sehr schnelle Lieferung in weniger als 1 Stunde (oftmals innerhalb von 10 min)
- Warendepots in innerstädtischen Wohngebieten
- Lieferung per E-Bike
- Begrenzte Liefergebiete (meist nur Stadtzentrum, keine Randbezirke)
- Begrenztes Sortiment
Same Day Delivery – bald Schnee von gestern?
Während bei klassischen Lieferdiensten wie Bringmeister oder dem REWE Lieferservice ein Zeitfenster für die Lieferung gewählt werden muss, ist Q-Commerce oder E-Food schneller. Sobald die Bestellung eingegangen ist, werden die Sendungen zusammengestellt und von den Fahrrad-Teams ausgeliefert. Bezahlt wird direkt in der Smartphone-App, zum Beispiel mit Apple Pay, Paypal oder Kreditkarte. Das Trinkgeld für den Fahrer wird beim Bezahlvorgang ebenfalls digital hinterlassen. Somit ist auch eine völlig kontaktlose Zustellung möglich. Klingeln, abstellen, fertig.
Q-Commerce auf der Überholspur
Ein lukratives Geschäftsmodell, denn der Markt ist groß und wächst. Investoren pumpen Milliarden in die Liefer-Start-ups, die sich immer mehr ausbreiten. Gorillas ist mittlerweile in 23 deutschen Städten präsent, Flink sogar in 41, Getir hat sich Liefergebiete in fünf deutschen Städten erschlossen. E-Food ist auf der Überholspur und die Konkurrenz wächst mit.
Zwar ist das Sortiment der Sofort-Lieferer beschränkt – man spekuliert auf dringende Notkäufe –, aber es ist nicht auf Lebensmittel begrenzt. Flink hat beispielsweise ebenso Drogerieartikel, Zigaretten oder Handy-Ladekabel im Angebot. Gorillas liefert auch Waschpulver, Batterien und Hundefutter. – So können sich die einzelnen Anbieter von der Konkurrenz abheben.
Lieferdienste kämpfen um Marktanteile
Quick Commerce ist kein deutsches Phänomen, sondern eine Entwicklung auf dem weltweiten Markt. Der US-amerikanische Express-Lieferdienst Gopuff hat im Sommer vergangenen Jahres im Rahmen einer Finanzierungsrund eine Milliarde US-Dollar eingesammelt, um seine internationale Expansion weiter voranzutreiben. Damit ist das E-Food Startup – das als Pionier in der Branche der neuen Lebensmittel-Lieferdienste gilt – aktuell mit rund 15 Milliarden US-Dollar bewertet.
Marktbeobachter gehen davon aus, dass der Gigant auch den deutschen Markt betreten und als weitere Konkurrenz agieren könnte. Eine deutschsprachige Website gibt es bereits. Und schon jetzt ist der Wettbewerbsdruck unter den Anbietern enorm – mit Folgen: Der weltweit tätige und in Berlin ansässige Betreiber von Lieferplattformen Delivery Hero war erst im Sommer 2021 mit seiner Marke Foodpanda in sechs deutsche Städte und somit in den hiesigen Quick Commerce Markt zurückgekehrt. Doch bereits im Dezember erklärte man wieder den Rückzug. Viele Wettbewerber und Fahrermangel hätten für eine „neue Realität“ gesorgt, meldete das Unternehmen.
https://t.co/7lZPj658r3pic.twitter.com/gWl3u4uQLC
— foodpanda Deutschland (@foodpanda_de) 22. Dezember 2021
Corona verändert Einkaufsverhalten nachhaltig
Doch die Nachfrage auf der Seite der Verbraucher nach solchen Quick-Commerce-Services dürfte bleiben. Insbesondere die Corona-Pandemie hat das Einkaufsverhalten vieler Menschen verändert. Das hat den Markt begünstigt. Nachhaltig. Laut einer repräsentativen Befragung des Digitalverbandes Bitkom bewirkt Corona eine dauerhafte Veränderung beim Einkaufsverhalten für Lebensmittel: 26 Prozent der Menschen in Deutschland bestellen demnach hin und wieder Lebensmittel im Internet. Vor der Pandemie waren es nur 16 Prozent. Somit profitiert E-Food.
Gegenüber dem misslichen Pandemie-Jahr 2020 ging die Zahl der Verbraucher in diesem Bereich um lediglich 4 Prozentpunkte zurück. Weitere Ergebnisse: 8 Prozent der Befragten kaufen in etablierten Online-Supermärkten wie rewe.de, bringmeister.de oder Amazon Fresh. Aber immerhin 7 Prozent nutzen bereits die neuen Lieferdienste mit Sofortservice, also Gorillas, Flink, Getir & Co.
Der Aufstieg des Quick Commerce zeigt, dass sich die Erwartungshaltung an den Handel rasant verändert. Besonders bei Jüngeren Verbrauchern ist dem Bitkom zufolge der digitale Einkauf sehr beliebt: Unter den 16- bis 29-Jähringen bestellen demnach 32 Prozent häufig oder hin und wieder Essen und Getränke im Netz, bei den 30- bis 49-Jährigen sind es mit 36 Prozent sogar etwas mehr. Nachfolgende Generationen dürften den Trend zur Schnelligkeit weiter beschleunigen, denn wer in 1 Minute 10 Videos auf TikTok konsumiert, möchte auf eine Online-Bestellung nicht mehrere Tage warten. An die Schnell-Schnell-Mentalität muss sich der Handel in Zukunft gewöhnen, auch in anderen Branchen.
Quick Commerce lohnt sich nicht für alle Firmen
Allerdings lässt sich das Quick Commerce-Konzept nicht 1-zu-1 auf Anbieter in anderen Segmenten übertragen. Neben einer engmaschigen Lager-Infrastruktur innerhalb von Wohngebieten sind auch Gewicht und Größe der Produkte limitierende Faktoren für einen Quick Commerce, denn ein wesentlicher Geschwindigkeitsgarant ist in den verstopften Großstädten der Transport via Fahrrad beziehungsweise E-Bike.
Ebenso muss ein zeitlich dringender Bedarf vorhanden sein, damit das Konzept aufgeht. Dies ist bei fehlenden Kochzutaten oder Getränken eher der Fall als bei einem Flachbildschirm oder einem neuen Sofa. Auch für den B2B-Sektor sind bisher keine Einsatzmöglichkeiten in Sicht.
Hoher Zeitdruck, schwierige Arbeitsbedingungen
Außerdem muss im Quick Commerce mit (sehr) spitzem Bleistift kalkuliert werden und es ist ein engmaschiges Netz an Fahren und stationäre Depots nötig. Fahrräder und Ausrüstung müssen angeschafft, Lager angemietet und Kuriere bezahlt werden. Damit sich das Konzept rechnet, liegen die Verkaufspreise bei den Express-Lieferanten meist leicht über den Supermarktpreisen. Hinzu kommen eine Liefergebühr und eine Trinkgeld-Option.
In der Kritik beim Thema E-Food stehen häufig die Arbeitsbedingungen der Fahrer. Ihr Gehalt liegt meist nur knapp über dem Mindestlohn, die Anforderungen und der Zeitdruck sind jedoch enorm. Erst im Sommer vergangenen Jahres protestierten in Berlin dutzende Gorillas-Fahrer mit unangemeldeten Lagerblockaden für bessere Arbeitsbedingungen. Eine Zeit lang duldete der Schnell-Lieferdienst diese Streiks der fest angestellten Fahrer, im Herbst reagierte man dann mit Entlassungen auf die Proteste. Das Unternehmen beschäftigt weltweit mehr als 10.000 Mitarbeiter.
Medikamente sind das nächste Quick-Commerce-Segment
Mittelfristig dürfte der Trend zu immer schnelleren Lieferungen auch andere Produktsortimente im E-Commerce erfassen, denn die Sofort-Lieferdienste setzen neue und vielbeachtete Maßstäbe für die Geschwindigkeit von Online-Bestellungen. Sie zeigen, was möglich ist, wenn Kundenerwartungen konsequent ernst genommen werden. Insbesondere die einfachen Bestell- und Bezahlmöglichkeiten per App können für andere E-Commerce-Anbieter richtungsweisend sein.
Lohnen kann sich Quick Commerce in Zukunft für alle Branchen, in denen nicht ein umfangreiches Sortiment oder ein besonders niedriger Preis im Vordergrund stehen, sondern die schnelle Verfügbarkeit. So wundert es nicht, dass es im Bereich der Medikamentenversender bereits erste Nachahmer gibt. Start-ups wie Mayd oder First A liefern in ersten deutschen Städten Medikamente innerhalb von 30 Minuten aus. Mit Phaster Pharmacy steht ein weiterer Player in den Startlöchern, um eine schnelle Alternative zu den etablierten Online-Apotheken zu bieten.
Der stationäre Einzelhandel muss sich aber keine Sorgen machen, ausgerechnet vom Quick-Commerce ins Abseits gestellt zu werden. Schließlich hat der Handel selbst die Mittel in der Hand, mit eigenen digitalen Angeboten seine Attraktivität zu pushen und die Umsätze anzukurbeln. Auch Onlineshops mit längeren Lieferzeiten sind nicht automatisch dem Untergang geweiht: In der Capterra-Studie antwortete die eindeutige Mehrheit (81 %) mit „Nein“ auf die Frage, ob Online-Shopper aufhören würden, bei einem stationären Geschäft einzukaufen, wenn es keine Lieferung am selben Tag anbietet. Doch eines wird auch deutlich: Die diskutierten Zeitspannen einer akzeptablen Lieferzeit verkürzen sich zusehends. Man darf auf die weitere Entwicklung in der Zukunft gespannt sein.